Auch ein Plan B braucht ein Backup

Ich habe in den letzten Tagen festgestellt, dass es für manche Träger im Gesundheits- und Sozialsektor schwer ist, sich auf die aktuelle Bedrohungslage wirklich einzulassen. Die dringendstens Herausforderungen der aktuellen Krisen-Situation werden zwar gut umgesetzt, aber die klassischen Management-Strukturen sind damit schon komplett ausgelastet.

Und das ist auch verständlich: Die Prozesse laufen trotz der aktuellen Belastung und wir haben es geschafft, die wichtigsten Strukturen zu stabilisieren und wo es geht gemeinsam behelfsmäßig zu digitalisieren. Aber ich befürchte, dass ist nur die halbe Miete. Denn: Allen Prognosen zufolge befinden wir uns immer noch auf der exponentiellen Aufwärtskurve der Corona-Infektionen und die Situation wird sich weiter zuspitzen. Ausgangssperren werden nicht mehr ausgeschlossen, die Belastung des medizinischen und Pflegepersonals steigt zunehmend. Und die der technischen Infrastruktur auch.

Sicherlich, die Lage entwickelt sich extrem schnell und jeder Tag ist eine neue Herausforderung. Aber wir dürfen nicht damit zufrieden sein, dass man nur von Tag zu Tag denkt und auf aktuelle Gegebenheiten reagiert. Im Gegenteil! Die logische Konsequenz aus der schnellen Abfolge neuer Eskalationsstufen muss sein, immer einen Schritt weiter zu denken und hypothetische Worst-Case-Szenarien zu entwerfen. Die Verantwortlichen in den Pflegeeinrichtungen müssen versuchen, der Krise einen Schritt voraus zu sein.

Konkret meine ich: Mit einem Plan ist es nicht getan, man braucht auch noch einen Plan B.

Jedes (Verwaltungs-) System kann ausfallen. Weil das notwendige Personal nicht mehr arbeiten kann, weil (medizinische oder technische) Ausstattung fehlt oder weil die IT-Infrastruktur für eine bestimmte Nutzung nicht ausgelegt ist. Je eher eine solche Situation durchdacht wird, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass man mit einem klaren Kopf Lösungen suchen und finden kann.

Man braucht also zusätzlich eine gedruckte Liste mit allen (aktuellen!) Telefonnummern statt nur der Personalliste im Tourenplanungssystem, SMS-Ketten im ambulanten Bereich wenn zentrale Disponenten ausfallen und – wie auch in Nicht-Krisenzeiten: aktuelle Notfallblätter für jede*n Patient*in unabhängig vom KIS oder Pflegedokumentationssystem. “Backups” also, die hoffentlich nicht zum Einsatz kommen müssen, die aber bei allen Beteiligten Ruhe und Sicherheit vermitteln.

Brauchen wir “Backups” für alle Abläufe?

Nein, das wäre übertrieben und auch zeitlich nicht möglich. Es ist empfehlenswert, die Prozesse in der Einrichtung zu priorisieren. Kritische Strukturen mit hohen Risiken und hoher Eintrittswahrscheinlichkeit brauchen zuerst Fallback-Optionen. Es gibt nur zwei Unterschriftsberechtigte für das Freizeichnen der Gehaltsauszahlung? Und die sitzen zusammen in einem Büro? Höchste Zeit zu handeln.

Um zu verstehen, welche Abläufe und Themen innerhalb der Einrichtung erfolgskritisch sind und welche externen Faktoren darauf Einfluss haben könnten, braucht es Übersicht und die Fähigkeit, wie beim Schach mehrere Schritte im Voraus zu denken. Der Gegner ist dabei die Virus-Krise.

Das ist keine Aufgabe, die man nebenbei bewältigen kann. Sie braucht eigene Ressourcen. Sie braucht einen Krisenstab, der nicht mit dem Managen des Tagesgeschäftes befasst ist, sondern sich zumindest mit Teilen seiner Mitglieder ruhig und klar auf die Risikoanalyse und Szenariotechnik konzentrieren kann. Ich habe in den letzten Tagen viel gutes Management in der Krise gesehen, aber nur wenig echtes Krisenmanagement. Wenn wir jetzt den Weitblick haben, einem Teil dieses guten Managements für die Krisenplanung komplett abzustellen, bin ich zuversichtlich für die kommenden Wochen.

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